DonauKurier vom 09.03.2009 

Der Rhythmus von Antigone

Ingolstadt (DK) Die Jugendlichen haben je zwei Steine mitgebracht, sich einen Rhythmus ausgedacht und sich Gedanken darüber gemacht, was sie unbedingt in ihrem Leben erreichen wollen. Das waren die Hausaufgaben für die Akteure des Klangtheater-Projekts "unbedingt! Antigone". Heute ist an der Hauptschule Lessingstraße eine Probe mit der Musikerin Robyn Schulkowsky angesetzt – da geht es ans Eingemachte. 

Die Künstlerin verspätet sich, und die Jugendlichen erzählen. Der 14-jährige Gennadi weiß genau, was er will: "Eine glückliche Familie und ein Auto." Warum ausgerechnet das? "Weil ich ja nicht als einsamer Mensch sterben will." Oguz, ein 13 Jahre alter Hauptschüler, will Tänzer werden, und Basak möchte später einmal Zwillinge bekommen und wünscht sich ansonsten einen guten Beruf und Frieden in der Familie.
Wille und Gesetz

Den hatte gerade Antigone nicht. Die Gestalt aus der griechischen Mythologie, Spross der inzestuösen Ehe zwischen Iokaste und Ödipus, begeht am Ende Selbstmord. Die Hauptschüler wissen noch nichts Genaues von diesem tragischen Stoff, dem Konflikt zwischen göttlichem und menschlichem Gesetz. "Das war halt eine Frau, die ihren Willen durchsetzen wollte", erklärt Veronika mit einfachen Worten.

Die Zwölfjährige hat schon im vergangenen Jahr bei "Elektras Traum" mitgewirkt, hatte sogar eine tragende Rolle: "Ich hab’ den Text von Chrysothemis gesprochen, von oben vom Balkon", erzählt sie stolz. Und auch Anneliese (15) ist schon zum zweiten Mal mit von der Partie. "Anfangs kamen Anastasia und ich uns wie Außenseiter vor", erinnert sie sich an die ersten Begegnungen mit den Mitspielern von den Realschulen und Gymnasien. "Aber dann kamen diese Workshops am Habsberg und in Pfünz, und dort haben wir uns angefreundet. Ich hab’ noch mit ein paar Leuten Kontakte im Internet."

Genau das ist Sinn des Integrationsprojekts. Die Mädchen haben andere Mitschülerinnen mitgerissen, und jetzt sind alle Feuer und Flamme für das Projekt, fiebern der bevorstehenden Aufführung entgegen und suchen erst einmal ihren Rhythmus, den Klang für Antigone. Sie üben und üben, stampfen und klatschen, bis die Künstlerin endlich hereingehetzt kommt, direkt von der Probe an der Herschelschule.

Es gibt einen Sonderapplaus für Robyn. Vor allem Anneliese ist hin und weg von der charismatischen Frau mit den langen grauen Haaren und den intensiven blauen Augen: "Die ist so verrückt drauf, das mag ich, das ist cool", schwärmt die 15-Jährige. Aber auch streng: "Mathe, Mathe, Mathe, Mathe", ruft die Schlagzeugerin immer wieder, zählt dabei von eins bis zwölf, rechter Fuß und linker Fuß, klatscht einmal auf eins, vier, sieben, zehn und das andere Mal bei eins, fünf und neun. "Vier Mal drei , drei Mal vier."

Mathe, Mathe, Mathe

Manchen fällt es leicht mit diesem Poyrhythmus, einige Jugendliche tun sich schwer. "Seid ihr alle so schlecht in Mathe", schimpft Robyn. Ein Mädchen schafft es immer noch nicht: "Hast du ein Problem? Sind dir die Füße festgeklebt" Und dann ruft die Musikerin wieder: "Mathe, Mathe, Mathe!"

Unerbittlich gibt sich die Künstlerin, aber die Jugendlichen bleiben bei der Sache, konzentrieren sich, bemühen sich, zählen und stampfen und klopfen ihre Steine aneinander. Und plötzlich, für einen kurzen Moment, tritt aus diesem Klack, Klack, Klack ganz klar der Klang heraus – der Klang für Antigone. "Alles, was wir länger als drei Minuten, länger als eine Popnummer hinkriegen, ist toll", meint Robyn Schulkowsky nach der Probe, und sie wirkt plötzlich sehr zufrieden. "Die Disziplin ist mir wurscht, aber wir müssen Verantwortung entwickeln."

Es sind nur wenige Proben mit Robyn Schulkowsky und der Regisseurin Eva Lange angesetzt, die für das Konzept und die künstlerische Leitung von "unbedingt! Antigone" verantwortlich sind. Zwischendurch üben die rund 100 beteiligten Jugendlichen mit ihren Lehrern. Im Juni beginnt dann die heiße Phase, die Aufführungen finden am 14., 15. und 16. Juli in der alten Viehmarkthalle statt.

Begleitend dazu werden aber auch verschiedene Projekte in den Quartieren und an den Schulen umgesetzt zu Themen wie Zivilcourage und Gewalt. Parallel laufen außerdem eine Grafikgruppe und Improvisationstheater. 144 000 Euro stehen insgesamt zur Verfügung. "Wir wollen das Projekt auf eine breite Basis stellen", erklärt Christoph Bittlmayer, Stadtteilkoordinator im Augustinviertel. Antigone soll weiterklingen – in der ganzen Stadt.

Von Suzanne Schattenhofer

 

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